Querdenker
"Schwurbler! Verschwörungstheoretiker!" So tönte es von den politischen Rängen und aus den Mainstream-Medien, wenn Menschen anderer Meinung waren und zum Beispiel die Corona-Politik kritisierten. Jetzt sind jene gemeint, die für Frieden eintreten und laut gegen Kriegstrommeln aufstehen. "Leute die anders denken, können wir hier nicht gebrauchen!" Huxley und Orwell lassen grüßen.(1) Aber zunächst mal: Was heißt eigentlich Querdenken? Was tun Querdenker, wenn sie querdenken? Aufklärung tut not. (siehe Randspalte)
Der Begriff Querdenken ist länger auf der Welt als viele amtierende Politiker. Bereits 1968 veröffentlichte der Kognitions- und Kreativitätsforscher Edward de Bono sein Buch 'Laterales Denken'.(2) Darin beschreibt er, wie man Probleme besser lösen kann, wenn man die ausgetretenden Pfade des Denkens und Handelns verlässt und links und rechts vom Weg nach weiteren Möglichkeiten sucht. (Lateral = seitlich) Der Systemiker Heinz von Foerster formuliert in seinem systemischen Imperativ: 'Handle stets so, daß sich die Anzahl deiner Möglichkeiten vergrößert'.(3) Und das Denker- und Therapeutenpaar Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd bieten in ihrem Buch 'Ganz im Gegenteil'(4) Zugänge und Übungen 'für Querdenker und solche, die es werden wollen' an. Dies nur als kleine aber bedeutende Auswahl aus den vielen Schriften, die sich mit Querdenken und lateralem Denken befassen.
Beim lateralen oder Querdenken geht es darum, die im Laufe des Lebens eingefahrenen Gleise und ausgetretenen Wege des eigenen Denkens, die 'Mentalen Modelle' der Welt, die durchaus nützlich waren, dann zu verlassen, wenn man keine Lösungen mehr für Probleme sieht. Oft allerdings wird mit immer mehr Aufwand (Energie) versucht, neue Anforderungen mit den alten Mitteln zu erfüllen - meist ohne Erfolg. Das Hirn klammert sich an Bekanntes und Bewährtes und weigert sich, andere Handlungsmöglichkeiten zu erkennen unnd zu praktizieren. Claxton spricht von 'Fehlentwicklungen des Denkens'.(5) Neben Claxton hat vor allem Daniel Kahnemann zusammen mit seinem Kollegen Amon Tversky die Fehlleistungen unseres Gehirns erforscht.(6) Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass die Tätigkeit des Querdenkens sinnvoll ist und unser Leben in der nicht immer einfachen Welt erleichtert. Heinz von Foerster spricht von 'Viabilität' (Brauchbarkeit). So viele kluge Köpfe, die sich um unsere Hirn(Fehl)leistungen Gedanken machen.
Was zum Querdenken gehört, hat Tasmanien in Kürze für seine Bürger zusammengefasst. (siehe Randspalte) Zum einen gehört dazu, sich seiner eigenen Denkweise bewusst zu werden, seine blinden Flecke zu erkennen und im besten Sinne 'aufgeklärt' zu sein. Immanuel Kant bietet kurz und knapp den Kern: (siehe Randspalte) Dann ist man auch in der Lage, die Welt im Ganzen zu sehen und die Zusammenhänge zwischen den verschiedensten Phänomenen zu verstehen. Die Überwindung des Tunnelblicks geschieht am besten durch Perspektivwechsel: sich in die Schuhe des Anderen stellen. Sture Routine kann man loswerden durch Musterbrechen. Ständig taucht das Wörtchen 'anders' auf: 'Probiers mal anders!' (siehe Randspalte) Lust auf einen kurzen Abstecher nach Anderland? ⇒ hier
Querdenken ist eine Fähigkeit des Menschen, die er in frühester Kindheit ganz intuitiv entwickelt, wenn er nur gelassen wird. Spielerische Kreativität, kreatives Spiel, Phantasie, Offenheit für die Vielfalt des Lebens, Verbindung von Widersprüchen, konstruktiver Umgang mit Paradoxien sind nur einige Aspekte des Querdenkens. Ohne diese gäbe es keine Innovationen und die Menschheit säße immer noch auf den Bäumen. Damit stellt sich (rhetorisch?) die Frage, welcher Dummkopf, welche Vollpfosten 'Querdenker' zu einem Schimpfwort, mehr noch, zu einem gefährlichen Etikett machten. Ja, es gab Leute, die haben dieses Etikett für sich in Anspruch genommen. Sie haben damit demonstriert, dass sie anderer Meinung sind. Ist das schlecht? Ist die Behauptung: 'There is no alternative' wahrer oder richtiger oder nützlicher als die Frage: 'Geht es auch anders?'. (⇒ TINA-Prinzip) Gerade von der Politik erwarten wir doch, dass dort Hirn eingesetzt wird. Aber offenbar gelingen dort die größten Fehlleistungen. 'Wenn etwas nicht funktioniert, probier etwas anderes' ist eine simple Regel der Querdenker. Aber vielleicht will man das auch gar nicht: Ganz im Gegenteil.